Einig nicht, aber eins

Predigt und  Fürbitten mit einem Thema der Woche

Christi Himmelfahrt 21. Mai 2020

Predigttext: Johannes 17,20-26

Predigttext zu Beginn der Predigt

Darstellung des Themas

Wie gehört der Abschnitt aus Jesu hohepriesterlichem Gebet mit Himmelfahrt zusammen? Sicher über das Thema Abschied. Man kann das dieser Tage als besorgte Rede hinsichtlich der Einigkeit/des Einsseins lesen. „Ich bitte“, sagt Jesus, und „ich will“ – in ähnlichem Tonfall hat jüngst Kanzlerin Angela Merkel gesprochen, bevor die Ministerpräsident/-innen das Heft hinsichtlich der „Lockerungen“ in die Hand nahmen und mit den für die Bundesländer unterschiedlichen Regelungen eine Art Flickenteppich erzeugt haben, der leider auch Wasser auf die Mühlen von Skeptikern und Verwirrten ist. Mit der Einigkeit des Christentums sah und sieht es nicht viel anders aus. Heute zwar friedlich(er), aber noch immer ein Hühnerhof voll theologischen Gegackers und Gehackes, wenn man auf dogmatische Schulen, Konfessionen, Lehrmeinungen schaut. Über die johanneische Abschiedsrede Jesu hinaus fragt die Predigt nach einer tieferen Verbindung zu Christi Himmelfahrt. Gibt es über die (Un-) Einigkeit hinaus etwas, das dennoch eins sein lässt?

Predigt

Jesus spricht: Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe die Welt gegründet war. Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen. (Luther 2017)

Passen diese Worte zum Himmelfahrtstag? Vielleicht ja, weil sie so „abgehoben“ sind? Aber Scherz und Wortspiel beiseite – es ist wohl das Thema Abschied, um das es auch hier geht. Jesus spricht noch einmal, kurz vor seinem leiblichen Tod, zu denen, die ihn begleitet haben. Und abgehoben, verklärt, wolkig sind diese Sätze durchaus zu nennen. Eins sein, und noch einmal eins sein, bei mir sein, die Herrlichkeit sehen, die Liebe in sich spüren … man kann das auch beschwörend nennen. Da möchte einer, dass sie sich vertragen, gut miteinander umgehen, sich als Erben erkennen, die alle reich beschenkt sind und keinen Grund haben, gegeneinander ins Feld zu ziehen. Spricht da zwischen den Zeilen eine gewisse Sorge mit? Dass es auch anders kommen könnte, danach? Ich bin einigen Menschen begegnet, denen das große Sorgen bereitet hat: Wenn ich einmal nicht mehr da bin, wie werden sich die Kinder vertragen? Werden sie das, was ich ihnen über das Leben und die Liebe und den Zusammenhalt mitzugeben versucht habe, auch beherzigen? Oder gibt es dann Streit und Zank ohne Ende ums Erbteil? Wir wissen, dass die Sorge Jesu, des „Erblassers“, nicht unbegründet war. Schon die Bibel selbst ist ja reich an Zeugnissen über Hader, Streit und Kampf ums Erbe. Um den rechten Glauben, das rechte Verständnis von Gott und den

Platz, den die Kirche in der Welt haben soll. Schwierig, das alles, und keine Freude, da hinzusehen. Und die sich anschließende Kirchengeschichte, wenn nicht ein Hauen und Stechen, so doch auch ein grässlicher Hühnerhof mit theologischem Gegacker und Gehacke. Von den großen Brüchen in der Geschichte bis zum täglichen Klein-Klein der Lehrmeinungen und Schulen und Konfessionen – wer da von „eins sein“ reden wollte, der müsste schon beide Augen fest zudrücken.

Der sorgenvolle Blick also beim Abschied – als es neulich um die „Lockerungen“ in der „Krise“ ging, hat Kanzlerin Merkel nicht unbegründet auf die Gefahren hingewiesen, wenn jeder Ministerpräsident bzw. -präsidentin die eigenen Vorstellungen umsetzt, was „Lockerung“ zu bedeuten habe. Schule auf oder bleibt zu? Kindergärten? Treffen mit wie vielen Personen? Fünf? Oder doch besser nur drei, momentan? Restaurants wieder offen ab Mitte Mai? Oder lieber nicht so früh? Veranstaltungen mit 100 Personen, Abstand wie groß dann? Masken tragen beim Konzert? Oder doch nur beim Einkaufen und im Bus? Kleine Läden oder auch die großen Kaufhäuser? … Ja, wo der Eindruck eines Flickenteppichs entsteht, entsteht auch der Eindruck, dass das vielleicht alles durch die Bank Unsinn ist mit diesen ganzen Maßnahmen? Wie im Reich des christlichen Glaubens auch: wo eine Verwirrung der Meinungen oder „Wahrheiten“ herrscht, zieht man da nicht bald das Ganze in Zweifel? „Wenn die sich noch nicht mal untereinander einig sind …“ – dann stößt das doch ab.

In der Corona-Krise (angebrachter wäre eigentlich das Wort Katastrophe, denn Krise bedeutet Entscheidung und Katastrophe meint Hinwendung zum Schlechteren) – in der kritischen Katastrophe, die wir jetzt nun mal alle durchleben müssen, gab es einen Moment großer Einigkeit, des Einsseins und der Liebe: das war, als wir die Bilder aus Bergamo und dann New York sahen: da haben wir uns doch am Riemen gerissen und sind brav (und dankbar!) den Mahnungen unserer Kanzlerin gefolgt. Mit entsprechend positiven Wirkungen! Gehalten hat das so um die 4 bis 6 Wochen. Dann kamen –durchaus begründet – neue Töne auf und andere ethische Einschätzungen. Darf man, um die Dicken, die Alten, die mit den speziellen Krankheiten zu retten, die „Wirtschaft ermorden“ (so der Kabarettist Matthias Richling)? Oder Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, wenn er davon spricht, dass das Leben nicht immer das höchste Gut sei. Ganz zu schweigen von Boris Palmer, der in einem zugegeben unbedachten Satz gefragt hat, „ob wir nicht Menschen retten, die in ½ Jahr sowieso tot“ seien? Also: 80 Milliarden Steuereinnahmen, die wegbrechen? Beihilfen für Firmen und Betriebe und Solo-Selbstständige und Reisebüros und und und … in Billionenhöhe? Wir erlauben doch als Gesellschaft auch den

Individualverkehr, wo jährlich soundso viele sterben, „damit es weitergeht“, sagt der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio. Ein Chor der Stimmen ist entstanden, Verschiebungen der An- und Einsicht, die zu Protesten führen, zu einem wilden Gemisch aus vernünftigen Argumenten und der haltlosen Spinnerei ungezählter „Aluhüte“ sowie rechter und linker Extremisten? Genau wie im Christentum, könnte man hämisch anmerken. Da gab und gibt

es allerhand Bedenkenswertes in den verschiedenen Konfessionen, so wie es den schaurigsten Unfug und manche Gnadenlosigkeit (etwa

„Erwählungstheologie“ … die einen hat Gott zum ewigen Heil, die anderen zur Verdammnis bestimmt) gibt, wenn man genau hinschaut auf die „Lehren“. Und hasserfüllte Rechthaberei, die gibt es sowieso, in Kirche und Welt. Einander die Seligkeit absprechen, früher mit Scheiterhaufen, heute mit Prügelattacken bei der Demo. Schwer auszuhalten, man fasst sich an den Kopf, aber im Letzten wohl trotz allem unvermeidlich. Denn: besser eine

Vielfalt, die auch viel Einfalt erträgt, als ein „Einheitsbrei“ oder eine Einheitspartei, die alle auf Linie bürstet. Wohin so was führt, das hat die Welt doch zur Genüge gesehen. Im günstigsten Fall wird Freiheit unterdrückt, im schlechtesten endet es im Gulag, unter der Guillotine oder an der Wand.

Hat Jesus also einer gefährlichen Sache das Wort geredet, so einer Art „Gottesstaat“, wo Liebe zwar ein Wort, aber auch eine unverhohlene Drohung ist? Versuchen wir, es von dem her aufzuschlüsseln, was Himmelfahrt bedeutet.

Ich denke, wir sind uns einig, dass es sich um keine noch so spirituelle Form von Raumfahrt handelt. Jesus geht von einem eng begrenzten Ort und Zeitraum dieser Welt dorthin, von wo er nach überall hin zurückkommen kann. Seine „Atome“, sozusagen, sein Kern, wird künftig an jedem Ort sein, wo die Liebe ist. Und mit ihr zwingend dann auch die Freiheit, die Geduld, das Zuhören, das Geltenlassen. Das können Menschen, tatsächlich!, wenn sie um die tiefere Verbundenheit wissen, die sie trotz allem zusammenhält. Jesus geht, um fortan immer da zu sein. Und mit ihm das, was wir den Himmel nennen. Wo die Liebe ist, da ist der Himmel. Meinetwegen auch so ausgedrückt: wo versöhnte Vielfalt herrscht, da sind wir doch eins!? Durchaus alle Religionen eingeschlossen, die Philosophie, die Dichtkunst, die Musik, die Politik … mit einer Ausschlussklausel: Intoleranz! Wo die ihr hässliches Haupt erhebt und die fauligen Zähne bleckt, gilt Abstand, Ablehnung, Anathema (ein griechisches Wort, es bedeutet „weg mit dir!)

Wenn wir um die tiefere Verbundenheit wissen, die uns Gott schenkt, können wir als Christen Dreierlei als unverbrüchlich wahrnehmen.

Erstens: wir glauben, dass diese Welt wie das ganze Universum einen Schöpfer hat, der sich etwas dabei gedacht hat. Kein Zufall, kein planloses Chaos, kein leerer Raum.

Zweitens: wir glauben daran, wir vertrauen darauf, dass dieses unfassbare Geheimnis, der Schöpfer, teilnimmt an unserem Leben (und Sterben. Es ist schlimm, dass in den vergangenen Wochen so viele einsam gestorben sind, aber in der Gegenwart Christi war keiner allein.) Anders ausgedrückt: Gott weiß, wie sich das anfühlt, ein Mensch zu sein, eine atmende Kreatur.

Drittens: wir erkennen eine uns verbindende Macht hinter all dem scheinbaren Irrsinn und Getöse. Das, was wir mit „Gott“ meinen und was Jesus uns dargestellt hat, weht durch die Welt als Geist der Liebe. Dieses „du bist in mir und ich bin in dir und ihr seid in uns“ … auch Jesus, der Mensch, konnte das Geheimnis nur stammeln, wie der Evangelist Johannes es ihm in den Mund gelegt hat. Aber aus diesem Geheimnis leben wir. Alle. Heute und morgen und in den Tagen, die kommen. Wir sind uns nicht einig, aber eins sind wir doch. Weil Gottes Liebe uns verbindet.

Fürbitten

Dass deine Liebe uns verbindet, Gott, lass es uns doch wieder mal spüren. Jeden Tag und immer öfter. Wir sind alle eins mit allem, was lebt und Atem hat auf deiner schönen Erde. Unter deinem Himmel voller Sterne. In der Not, die alle Kontinente verbindet.

Wir bitten dich, Gott, um Einsicht. Gib uns das Gefühl und gib uns den Verstand, das Herz und den Geist, dich zu erkennen als das ewige Band, das uns hält und trägt und zusammenbringt. Das, was wir durchmachen, mit Angst um unser eigenes Leben und Fortkommen, mit Sorge um Menschen, die wir lieben – lass uns den Hinweis darin sehen, die Bitte, deine Bitte an uns, zu verstehen. Im Vertrauen darauf, dass du da bist, um uns, in uns, über und unter uns beten wir:

Vater unser …

Johannes Rieper, Pfarrer i. R., Varel